Dokumentationen
Jülich - Propsteikirche (NW 1997/1038)
Propsteikirche

Inhalt
I. Vorbemerkungen
II. Forschungsstand
II.1. Kenntnisse der Baugeschichte
II.2. Ältere archäologische Untersuchungen 
II.2.1. Langschiffumbau 1877/78 
II.2.2. Umbau von Chor und Querschiff 1898/99 
II.2.3. Heizungseinbau im Chor 1925 
II.2.4. Wiederaufbau 1951 
II.3. Spezielle Fragestellungen des Fundplatzes 
III. Aussagemöglichkeit der Funddurchsicht
III.1. Bewertung des Kleinfundspektrums
III.1.1. Funde zur Siedlungs- und Baugeschichte 
III.1.2. Funde aus Gräbern 
III.2. Die Bauspolien 
IV. Ansprache aussagekräftiger Befundkomplexe
IV.1. Römischer Mauerzug St.8
IV.2. Hypocaustum St.30-32
IV.3. Die Brandstelle St.23
IV.4. Befunde zu den Bauzuständen der Kirche
IV.4.1. Die Umbauten 1877 und 1899
IV.4.2. Der bis 1877 erhaltene Bauzustand
           und seine Vorläufer

IV.4.3. Spuren älterer Bauphasen
V. Zusammenfassung der Grabungsergebnisse

VI. Stellenbeschreibung
VI.1.  Arbeitsmethodik 

VI.2.  Grabungsschnitte 
VI.2.1.   Schnitt 2
VI.2.2.   Schnitt 3
VI.2.3.   Schnitt 4
VI.2.4.   Schnitt 5
VI.2.5.   Schnitt 20
VI.2.6.   Schnitt 21 

VI.3.  Baubefunde 
VI.3.1.   Mauerbefunde in Schnitt St.2 
VI.3.1.1.    NZ-Mauer St.6/St.7 
VI.3.1.2.    Röm. Mauer St.8
VI.3.1.3.    MA-Mauer St.9 
VI.3.1.4.    Mauer St.10
VI.3.1.5.    NZ-Mauer St.11
VI.3.1.6.    MA-Mauer St.12
VI.3.2.   Mauerbefunde in Schnitt St.3 
VI.3.2.1.    NZ-Mauer St.13
VI.3.2.2.    NZ-Mauer St.14
VI.3.2.3.    NZ-Mauer St.15
VI.3.2.4.    MA-Mauer St.16
VI.3.2.5.    Mauer St.17
VI.3.2.6.    MA-Mauer St.27
VI.3.3.   Mauerbefunde in Schnitt St.21 
VI.3.3.1.    MA-Mauer St.24
VI.3.3.2.    A/NZ-Mauer St.25
VI.3.3.3.    MA-Mauer St.26
VI.3.4.   Mauerbefunde in Schnitt St.4
VI.3.5.   Mauerbefunde in Schnitt St.5 
VI.3.5.1.    Mauer St.28
VI.3.5.2.    MA-Mauer St.29
VI.3.5.3.    Röm. Mauer St.30
VI.3.5.4.    Röm. Mauer St.31
VI.3.5.5.    spätröm. Hypocaustum St.32
VI.3.5.6.    NZ-Mauer St.33
VI.3.5.7.    NZ-Mauer St.34
VI.3.5.8.    Mauerausbruchgrube St.84

VI.4.  Grabbefunde 
VI.4.1.   Grabbefunde in Schnitt St.3 
VI.4.1.1.    Grabgrube mit Skelettrest St.18
VI.4.1.2.    Skelettgrab St.19
VI.4.2.   Grabbefunde in Schnitt St.20 
VI.4.2.1.    Grabkiste mit Leichenbrand St.22
VI.4.2.2.    Skelettgrab St.35
VI.4.2.3.    Skelettgrab St.36
VI.4.2.4.    Skelettgrab St.37
VI.4.2.5.    Skelettgrab St.38
VI.4.2.6.    Skelettgrab St.39
VI.4.2.7.    Skelettgrab St.40
VI.4.2.8.    Skelettgrab St.41
VI.4.2.9.    Skelettgrab St.42
VI.4.3.   Grabbefunde in Schnitt St.21 
VI.4.3.1.    Skelettgrab St.43
VI.4.3.2.    Skelettgrab St.44
VI.4.3.3.    Skelettgrab St.45
VI.4.3.4.    Skelettgrab St.46
VI.4.3.5.    Skelettgrab St.47
VI.4.3.6.    Skelettgrab St.48
VI.4.3.7.    Skelettgrab St.49
VI.4.3.8.    Skelettrest St.50
VI.4.3.9.    Skelettrest St.51
VI.4.3.10.  Skelettgrab St.52
VI.4.3.11.  Skelettgrab St.53
VI.4.3.12.  Grabgrube mit Skelettrest St.54
VI.4.3.13.  Skelettgrab St.55
VI.4.3.14.  Grabgrube St.56
VI.4.3.15.  Grabgrube St.57
VI.4.4.   Grabbefunde in Schnitt St.5 
VI.4.4.1.    Skelettgrab St.58
VI.4.4.2.    Skelettgrab St.59
VI.4.4.3.    Skelettgrab St.60
VI.4.4.4.    Grabgrube mit Skelettresten St.61
VI.4.4.5.    Störung mit Skelettresten St.62
VI.4.4.6.    Skelettgrab St.63
VI.4.4.7.    Grabgrube mit Skelettrest St.64
VI.4.4.8.    Grabgrube mit Skelettrest St.65
VI.4.4.9.    Grabgrube mit Skelettrest St.66
VI.4.5.   unbegrabene Grabbefunde 
VI.4.5.1.    Grabbefunde in Schnitt St.2 
VI.4.5.1.1.     Grabgrube mit Skelettrest St.67
VI.4.5.1.2.     Skelettgrab St.68
VI.4.5.1.3.     Skelettrest St. 69
VI.4.5.1.4.     Skelettspuren in 2 Etagen St.70
VI.4.5.1.5.     Skelettspuren in 2 Etagen St.71
VI.4.5.1.6.     Skelettgrab St.72
VI.4.5.2.    Grabbefunde in Schnitt St.3 
VI.4.5.2.1.     3 Skelettgräber St.73
VI.4.5.2.2.     mögliche Grabgrube St.74
VI.4.5.2.3.     Skelettgrab St.75
VI.4.5.2.4.     möglicher Grabbefund St.76
VI.4.5.2.5.     Grabbefund St.77
VI.4.5.2.6.     Grabgrube St.78
VI.4.5.3.    Grabbefunde in Schnitt St.5 
VI.4.5.3.1.     Grabgrube St.79
VI.4.5.3.2.     Skelettgrab St.80
VI.4.5.3.3.     gestörtes Skelettgrab St.81
VI.4.5.3.4.     Skelettgrab St.82
VI.4.5.4.    Grabbefunde in Schnitt St.21
VI.4.5.4.1.     Skelettgrab St.83

VI.5.  Sonstige Befunde
VI.5.1.   Brandlehmbefund St.23
VI.5.2.   Wiederbestattungsgrube St.1-24

VII.   Autoren
VIII.  Abbildungskatalog
IX.    Zeichnungskatalog
X.     Fotokatalog

XI.    Dokumentationsnachweis
XII.   Literaturhinweise

Propsteikirche

Jülich, Propsteikirche

Marcel Perse, Norbert Bartz, 1997

I. Vorbemerkungen

Die archäologischen Untersuchungen bei den Umbauarbeiten in der Jülicher Propsteikirche (Kreis Düren) im Oktober 1997 wurden verursacht durch die Bodeneingriffe für die neuen Fundamente der vergrößerten Orgelempore (St. 2/3) und den Einbau einer neuen Heizungsanlage mit vergrößerten Gebläsekästen (St.20/21, 4/5). Die archäologischen Arbeiten wurden von der Fachfirma Wurzel Archäologie, Jülich unter der Leitung von Grabungstechniker Norbert Bartz - NB Archäologie & Graphik durchgeführt und dokumentiert (Gesamtplan Abb. 1). Der Verfasser der Berichtsteile I. bis V., M. Perse M. A., brachte aufgrund seiner Lokalkenntnisse aus der Aufarbeitung der älteren Fundberichte und des archäologischen Umfeldes die speziellen Fragestellungen für die Untersuchung und Interpretation der Befunde bei Ortsterminen im 1-2 Tage-Rhythmus ein.

 

II. Forschungsstand

Eine zusammenfassende Untersuchung zur Baugeschichte der Kirche St. Mariä Himmelfahrt in Jülich unter Einbeziehung historischer Quellen, Ergebnissen von Bauforschung bzw. Interpretation des ehemaligen Baukörpers und archäologischer Befunde liegt bislang nicht vor. Maßgeblich sind bislang E. Renards Darstellung in den Kunstdenkmälern der Rheinprovinz 1902, S. 104-110 und P.J. Tholens Zusammenfassung des archäologischen Kenntnisstandes 1975 mit Verweis auf die älteren Berichte.

 

II. 1. Kenntnisse der Baugeschichte

Gesicherte Kenntnisse über die Form der ersten Kirchenbauten gibt es nicht. Damit ist zumindest eine erste Bauphase seit der ersten urkundlichen Erwähnung 945 bis zum Bau der romanischen Kirche mit dem im Untergeschoß erhaltenen Turm Mitte 12.-Anfang 13. Jahrhundert völlig unbekannt. Einer eventuell noch bis in römische Zeit zurückreichende Baugeschichte als Kirche, die durchaus plausibel scheint, kann sich lediglich auf eine (wohl falsche, da im Zirkelschluß entstandene) Vermutung eines alten Martinspatroziniums, die undifferenzierte Auffindung "römischer Mauern", und die in der Tat interpretationsbedürftige Ausrichtung der Kirchenachse berufen.

Die Nordost-Orientierung der Kirche, die im renaissancezeitlichen Straßenraster bis heute wie ein Fossil erscheint, wurde bislang mit der Hauptstraße des römischen vicus IVLIACVM (Tholen 1975, S. 249; Rüger 1987, S. 449) oder mit dem spätantiken Polygonalkastell des 4. Jahrhunderts (Perse 1988, S. 75 Anm. 221) in Verbindung gebracht. Die Abweichung der Kirchenschräge von der römischen Straßenachse im Detail spricht gegen erstere Theorie, zumal der Bereich um den Marktplatz durch den Bau des Kastells im 4. Jahrhundert eine tiefgreifende Umstrukturierung erfuhr, die für diesen Bereich die das Umfeld prägende Dominanz der vicus-Hauptstraße aufhob und so stark überprägte, daß der Kastellbereich bis zur frühen Neuzeit als eigenes Areal im städtebaulichen Kontext erkennbar blieb. Da die römische Kastellmauer im Bereich der Kirche an zwei Stellen archäologisch beobachtet wurde (vgl. II.2.), liegt eine Rückführung der Kirchenachse auf eine Kurtine des rekonstruierten Kastellmauerpolygons nahe (Perse 1991, S. 66 Abb.). Dies kann jedoch bis auf weiteres nur den Rang einer Arbeitshypothese haben, da der genaue Verlauf der spätantiken Festungsmauer trotz der o.g. Fundpunkte nicht erkannt werden konnte, die Rekonstruktion des Mauerverlaufes in diesem Abschnitt also wiederum nur eine Hypothese ist.

Stützt man auf diesen Erklärungsversuch eine weitere Arbeitshypothese, die die Entstehung des ersten Kirchenbaues mit einem innen an die Kastellmauer angebauten Gebäude oder eines in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen und gleich der Festungsmauer in diesem Abschnitt ausgerichteten Baues in Verbindung bringt, muß man sich bewußt bleiben, daß dies nur ein zweistufiges Gedankengebäude ist, dessen Gültigkeit noch durch Befunde zu klären bleibt.

Die mitunter postulierte Holzbauphase als frühe Entwicklungsstufe der Kirche (Kessel 1879 S. 88, Engel 1994, S. 5) kann nach heutigem Kenntnisstand bis auf weiteres ausgesondert werden.

Die Nachrichten vom Fund alter Holzpfähle im Kircheninneren, die auch nur als Mitteilung ohne archäologische Dokumentation überliefert sind, können, parallel zu den Befunden bei der Kanalsanierung an der Ostseite des Marktplatzes (Perse 1990, S. 478 Abb. 32,11) zwanglos entweder als Reste römischer Fachwerkbauten oder wie in der Propsteikirche selbst 1951 (Haberey 1951, S. 306 Anm. 8) oder an der Großen Rurstraße 98 (P. Wagner, Archäologie im Rheinland 1989 [1990] S. 89) beobachtet, als Pfahlroststreifen zur Bodenverdichtung unter einem Mauerfundament gewertet werden, ohne daß eine Interpretation dieser sporadischen Nachrichten als Kirchenbauphase wahrscheinlicher wäre.

Als Arbeitsgrundlage wird aus den bislang vermuteten oder belegten Bauphasen eine vorläufige Chronologie aufgestellt (vgl. Renard 1902, S. 104-110 u. Zanger 1989, S. 72-77)

Nur die Phasen V-VIII sind mit Fotos (Neumann 1980, S. 32-34 u. 1987, S. 64-67) und zeitgenössischem Planmaterial belegt (Abb.2, 3, 4). Der Katasterplan 1936 und die Pläne der Altstadtumlegung nach dem Krieg 1947 Block 4b bieten eine Synopse der Umrisse Phase VII gegen VIII/IX (Abb. 5) bzw. z.T. bis Phase X (vgl. Abb. 10). Der Neubauplan von 1950 weist im Bereich der Chorapsiden, bei der südlichen Wand des Hauptschiffes und natürlich beim Turm alte Mauersubstanz aus (Abb. 4). Über diese Grundlagen können die Baupläne und ältere wie die aktuellen Grabungsergebnisse im Gesamtplan korreliert werden.

 

II.2. Ältere archäologische Untersuchungen

Die vorliegende Untersuchung von 1997 ist die fünfte archäologische Aktivität im Bereich der Jülicher Propsteikirche, über die Informationen vorliegen. Allen Fundnachrichten ist jedoch daß Manko gemeinsam, daß es sich jeweils nur um sehr begrenzte Bodenaufschlüsse handelte, was die Einbindung der Befunde in größere Strukturen bislang größtenteils verhindert.


II.2.1. Langschiffumbau 1877/78

Die Funde sind durch den Bericht von H.J. Kessel 1879 bekannt (Abb. 6), dessen schematisierter Lageplan häufig rezipiert wird (z.B. Tholen 1975, S. 236 Abb. 2 oder Engel 1994, S. 6 Abb.). Die darin suggestiv durchgezogen eingetragene angeblich römische Mauer 1 von 1 m Breite fand noch 1997 bei der Bauplanung für die neue Fundamentierung der Orgelempore Berücksichtigung, bis sich bei den Ausschachtungen (St.2/3) herausstellte, daß es die Mauer in dieser Form nicht gegeben hat.

Der damals aufgedeckte Töpferofen 2 ist gut einzuschätzen, da die daraus stammenden Funde im Aachener Suermondt-Museum von A. Kisa 1903 und 1906 so genau beschrieben wurden, daß sie trotz fehlender Abbildungen bestimmt werden können (Originale Kriegsverlust, ebenso die laut Kreis-Jülicher Correspondenz- und Wochenblatt vom 4.5.1878 ins Jülicher Stadtarchiv überstellten Funde). Die von Kisa beschriebene Tonschlickerverzierung und Profile (Typ Hofheim 81/82; vgl. Perse 1988, S. 106 Abb. 35,3-6) lassen eine Einordnung in das Produktspektrum des bis zum Anfang des 2. Jahrhunderts in diesem Bereich arbeitenden Töpferbezirks zu (Abb. 7), von dem 1952 beim Bau des Pastorats Stiftsherrenstraße 15 4 Öfen aufgedeckt wurden (vgl. Lenz 1990, S. 77ff; 68; 45). Beim Neubau der Sakristei 1951 wurde im dortigen SW-Profil ebenfalls ein Töpferofenrest entdeckt (II.2.4: W. Haberey, Profil A’-B’ vom 4.5.1951; dazu RLMB Inv.Nr. 51.532), der die Tiefenangabe 4,50 m von 1877 überzogen erscheinen läßt.

Die Funde von Eichenpfählen werden nur undifferenziert mitgeteilt. Einzige Zusatzinformation ist, daß sie auf Höhe der römischen Befunde auftraten. Ob es sich um Reste römischer Fachwerkbauten (wie Perse 1990, S. 478 Abb. 32,11) oder um Gründungshilfen von Mauern handelt, wie sie auch 1951 beobachtet wurden (vgl. II.2.4: Haberey 1951, S. 306; ders., Profil B-C vom 27.6.1951 Mauer b), ist so nicht zu entscheiden.

Am meisten Nachwirkungen hatte die Auffindung der Hypocaustanlage 3 unter der nördlichen Seitenschiffaußenmauer (falsch bei Renard 1902, S. 102 "unter der Südmauer"). Während Kessel den Befund noch vorsichtig abwägend als Heizung eines Privatgebäudes anspricht (S.67), sind schon in der Grundsteinurkunde von 1877 die Alternativen "auf den Trümmern eines römischen Bades oder eines römischen Palastes erbaut" (nach Kreis-Jülicher Correspondenz- und Wochenblatt Nr. 84 vom 22.10.1898) genannt.

Die Verbindung mit einem weiteren Hypocaustbefund beim Umbau des Querschiffes und Chores 1898 (vgl. II.2.2.) und Beobachtungen in einem Kanalgraben an der SO-Ecke des Marktplatzes zum Kirchturm hin (J. Halbsguth, FB154 Mai 1949; vgl. Abb. 13) ergaben für P.J. Tholen 1975 aufgrund der Gesamtausdehnung der Hypocaustbefunde die Vermutung einer Thermenanlage, in Anlehnung an die in Zülpich gemachten und konservierten Befunde (S. 235 Anm. 25-29).

Diese Vorstellung wurde seither immer wieder aufgenommen (z.B. Rüger 1987, S. 449) und prägt selbst die Berichterstattung und Interpretation der 1997 aufgedeckten Fortsetzung der Hypocaustanlage bei St.5-32 (zuletzt A. Wolters, Jülicher Zeitung Nr. 42 vom 19.2.1998, S. 9). Da es sich aber bislang nur um kleinräumige Hypocaustbefunde handelt (vgl. auch weiteren Befund in der Nähe, Perse 1990, S. 477 Abb. 32,12; vgl. hier Abb. 13) und deren direkter Zusammenhang zu einer Gesamtanlage unwahrscheinlich ist, muß die Erklärung als Thermenanlage als unbegründet gelten - obwohl es im vicus IVLIACVM sicherlich eine entsprechende Anlage gegeben hat.

Interessant erscheint, daß F.J. Schmitz 1879 bei seiner baugeschichtlichen Beschreibung der Kirche ausdrücklich feststellt, "Daß vor Erbauung der jetzigen Kirche (...) an derselben Stelle schon eine ältere Kirche gestanden habe, ist höchstwahrscheinlich, aber nach meiner Ansicht nicht erweislich; wenigstens haben sich an Ort und Stelle bei Gelegenheit der jetzigen Umbauten keine Anhaltspunkte dafür gefunden." In der Grundsteinurkunde von 1878 heißt es dagegen: "Beim Ausheben der Fundamente fand sich, daß die erste Anlage der Pfarrkirche im Anschluß an den jetzt noch bestehenden Thurm eine einschiffige Basilika war, ...". Offensichtlich war man bei Anlage der Fundamente der jetzigen St.6 u. St.13 auf das Streifenfundament der Arkaden St.9 u. St.15 gestoßen (vgl. IV.4.2). Auch ein angeblich 6 x 22 m messender Totenkeller unter dem Langhaus (M. Hermkes, Rurblumen Nr. 51, 1936, S. 470f.), dessen Zugang vom Turm her erfolgte, wurde 1878 zum letzten Mal geöffnet (vgl. auch Planum W. Haberey vom 11.6.1951 mit Störung 19. Jh. im Turmboden).

Foto mit Aussenansicht vor 1877 siehe Titelblatt des Abbildungskataloges.

 

II.2.2. Umbau von Chor und Querschiff 1898/99

Beim Ausheben der Fundamente für den neuen Chor mit zwei Annexapsiden außen vor der alten Chormauer (Abb. 5), ist die nicht exakt lokalisierbare Nachricht eines römischen Estriches (Kreis-Jülicher Correspondenz- und Wochenblatt Nr. 83 vom 19.10.1898, S. 3; später angezweifelt in einem Leserbrief ebd. Nr. 84 vom 22.10.1898, S. 1) überliefert. Renard 1902 (S. 102) überlieferten unabhängig davon ein zweites Hypocaustum im "Chorbereich" (auch Jülicher Kreisblatt Nr. 37 vom 8.5.1909). Außerdem wird von einer 3 m breiten Bruchsteinmauer berichtet (KJCWBl. Nr. 83 vom 19.10.1898, S.3), die bei der Fundamentierung des Querschiffes zutage trat. Aus der Art der Beschreibung bei Renard als "nach Südwesten, spitzwinklig zu der Mauer unter dem Langhaus" verlaufend (Abb. 6 [1]), handelt es sich anscheinend um das nördliche Querschiff zur Kölnstraße hin (im späteren Jülicher Kreisblatt vom 8.5.1909 wird die dort nur 1 m dick genannte Mauer allerdings mit einem Mauerzug in der Baierstraße parallelisiert, der mit seiner NW-SO Ausrichtung eine genau entgegengesetzte Schräge aufweist; diese Erwähnung ist offensichtlich falsch).

Mit der Lokalisierung im nördlichen Seitenschiffbereich, rückt der Hypocaustbefund von 1898 in unmittelbare Nähe der 1877 und 1997 dokumentierten Fußbodenheizungsbefunde (Abb. 6 [1] u. Abb. 1, St.32; vgl. VI.2.4.). Die o.g. rätselhafte Mauer und die erwähnte "breite Lage von Stein- und Kieselgeröllen, weshalb die Ausschachtung [der Querschifffundamente; welcher?] eine Tiefe von 5 Metern annehmen mußte" (KJCWBl. Nr. 84 vom 22.10.1898) sind zu unkonkret, um interpretiert zu werden.

Interessant ist die Erwähnung eines als Einzelfund geborgenen Fragmentes eines Totenmahlreliefs (Renard 1902, S. 102 und Leserbrief KJCWBl. Nr. 84 vom 22.10.1898, S.1; vgl. P. Noelke, Bonner Jahrbuch 174, 1974, S. 549), das hier fernab der Gräberfelder als Spolie zu deuten ist.

Für die Baugeschichte nicht direkt nutzbar gemacht werden können drei mittelalterliche Inschriftenfragmente mit Leuchterweihungen, die beim Abbruch des alten Chores für das Städtische Heimatmuseum im Hexenturm geborgen wurden (Leserbrief KJCWBl. Nr. 84 vom 22.10.1898, S.1, Ortsarchiv RAB Brief von Dr. Hoeres, Direktor des Progymnasiums vom 19.10.1898 Nr. 290/98 und Renard 1902, S. 113). Zwei noch erhaltene Steine wurden von der Inschriftenkommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften bestimmt und auf 1.H. 13. Jh. sowie 14.Jh., vermutlich 2. Hälfte, datiert (H. Giersiepen, Brief vom 11.9.1989 Nr. 1/2; das dritte Fragment des Komplexes ist 1997 noch in der Kriegsauslagerungsstelle im Brückenkopf aufgefunden worden). Die Inschriften sind wohl später in die bestehende Chorwand eingefügt worden und datieren damit nicht den alten Chorbau, wie Renard es auch von ähnlichen Weiheinschriften in der Seitenschiffwand berichtet (S. 113).

 

II.2.3. Heizungseinbau im Chor 1925

"Unter dem Chor der Jülicher Pfarrkirche" wurden im Juli 1925 20 m3 für eine Warmluftheizung ausgeschachtet (Fischer 1925). Leider ist die genaue Grabungsstelle nicht exakt lokalisierbar, obwohl sie von J. Hagen vom Rhein. Landesmuseum Bonn dokumentiert und das Profil publiziert wurde (Hagen 1926 und Hagen 1931, S. 208 Abb. 75). Er interpretiert den Befund als römische Straße, über die später eine mindestens 5 m breite Mauer errichtet wurde. Durch spätere Parallelbefunde konnte bereits Tholen 1975 den Gesamtbefund als Anschnitt der spätrömischen Kastellmauer mit ihrer typischen Fundamentierung deuten (S. 243; vgl. auch Perse 1990, S. 479 Abb. 35).

Bekannt wurde der Fund auch durch die zahlreichen geborgenen Spolien von Jupitersäulen (Abb. 8; vgl. M. Bös, Germania 14, 1930, S. 155f und P. Noelke, Die Iupitersäulen und -pfeiler in der Provinz Germania inferior. Beih. Bonner Jb 41, 1981, Nr. 39 = als Inv.Nr. 86,125 wiederaufgefunden, Nr. 105/6, 123-125). "Leider lassen sich in keiner Weise Richtung und Verlauf der Mauer feststellen" (Fischer 1925), so daß alle Interpretationen der Entwicklung der frühen Kirchenbauten in Abhängigkeit zum spätantiken Kastell hypothetisch bleiben müssen (Perse 1998). Angeblich war die Mauer bis 1949 "noch in den Kellerräumen der Kirche" zu sehen (Jülicher Volkszeitung Nr. 201 vom 28.12.1949, S. 3).

 

II.2.4. Wiederaufbau 1951

Beim Wiederaufbau der Propsteikirche nach dem Krieg wurden von W. Haberey vom Rheinischen Landesmuseum Bonn im Mai/Juni 1951 einige unsystematische baubegleitende Untersuchungen durchgeführt (Ortsarchiv RAB Bonn, Transkriptionen und Umzeichnungen der Unterlagen durch W. Scharenberg im SMJ Jülich, FB 192a). Da der Wiederaufbau "unter weitgehender Benutzung der bisherigen Fundamente" erfolgte (Abb. 4), "wurde die alte Kirchenfläche nennenswert nur für zwei Pfeilergründungen durchstoßen" (Haberey 1951; Abb. 10). Dabei wurde an den beiden flankierenden Pfeilerstellungen beidseitig des Chorraumes mehrphasiges Mauerwerk angeschnitten, "ohne daß es entwirrt werden konnte" (Haberey 1951, S. 307).

Festzuhalten bleibt, daß die Mauerzüge sämtlich der Ausrichtung der Kirchenachse folgten. Das Mauerkonglomerat am Übergang zur nördlichen Seitenkapelle war dicht mit römischen Spolien (Jupitersäulen, Matronenstein) bestückt (Neuffer 1951).

Im Profil der südwestlichen Außenmauer der neuen Sakristei wurde in 2 m Tiefe der Brennraum eines Töpferofens freigelegt (W. Haberey, Profil A’-B’ vom 4.5.1951, RLM Bonn Inv.Nr. 51.532), der vom schrägen Eckstrebepfeiler des Querschiffes bereits 1898 unerkannt angeschnitten worden war (Abb. 7).

In Bezug auf die sonstigen Beobachtungen zur römischen Epoche liefern die Aufschlüsse im Verlauf der neuen südöstlichen Seitenschiffwand genau wie im Kircheninneren lediglich recht schematische Aussagen zur Tiefenlage der römischen Schichten, wobei Schutt- und Brandschichten ab 0,70/80 cm Tiefe, darunterliegende Straten etwa von 1,10-2,00 m beobachtet wurden.

 

II.3. Spezielle Fragestellungen des Fundplatzes

Aus dem Resümee der Forschungsgeschichte zur Archäologie der Propsteikirche ergeben sich siebens Aspekte für weitere Untersuchungen:

Bei der Grabung 1997 wurde zu den Punkten b), c) und f) Ergebnisse gewonnen. Zu d) waren nur im Kleinfundspektrum Hinweise enthalten. Darüber hinaus wurden Reste von über 56 Bestattungen in den begrenzten Aufschlüssen dokumentiert, die jedoch alle nicht mit dem überlieferten Totenkeller f) in Verbindung stehen. Dessen Ausmaß und Lage sind nach wie vor unklar. Da er in St.2 und 3 nicht angetroffen wurde, könnte in diesem Bereich maximal noch ein schmaler Zugang in der Kirchenschiffmitte liegen, an den sich erst weiter zum Chor hin der auf 6 m Breite geschätzte Keller anschließen würde (M. Hermkes, Rurblumen Nr. 51, 1936, S. 470f.).

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